Die Textile 2021 – SweetShop 26.5

SweetShop

Eine Verwandel- und Hinguckaktion

Dieser Workshop findet ONLINE statt!

Eine Veranstaltung des Kulturbüros der Stadt Schmallenberg. In Kooperation mit Team Impuls

Gefördert von der LWL Kulturstiftung und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

TEXTILER MITTWOCH, 26. Mai 19.30 – 21.00 Uhr

Unser imaginärer Laden, der Ihnen Süßigkeiten der stofflichen Art anbietet, beginnt mit einem WORTSPIEL:

SweetShop statt Sweatshop

SWEATSHOP ist ein Begriff für Fabriken bzw. Manufakturen, in denen Menschen zu Niedriglöhnen und oft menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Die meisten Sweatshops findet man in Asien, Zentral- und Südamerika, aber auch Osteuropa, z. B. Bulgarien.

Der Großteil unserer Kleidung wird in Sweatshops hergestellt.

SWEETSHOP, also der Süßigkeitenladen, ist ein Ort der glücklichen Kindheitserinnerung: das Schwelgen in Farben, Geruch und Geschmack. Mit wenig Geld in der Hand hatte man das Gefühl von Reichtum und endlosen Wahlmöglichkeiten. Ein Stück Freiheit, ein sorgenloser Moment.

Zwei ganz unterschiedliche Begriffe, die sich nur durch einen Buchstaben unterscheiden. Sweatshop ist verbunden mit Unfreiheit und der harten Realität rund ums Brot verdienen. SweetShop ist verbunden mit Unschuld, Genuss und kindlichem Vergnügen.

eintreten und auswÄhlen

Aus unserem Laden können Sie sich eine oder mehrere Süßigkeiten auswählen, um damit eines oder mehrere Ihrer Kleidungsstücke zu transformieren.

Jede einzelne Süßigkeit ist aufgeladen mit einer Geschichte oder einem Gedanken. Aber auch jedes einzelne Material kann für sich stehen und sucht einen Platz auf Ihrem Kleidungsstück.

Gemeinsam in der Gruppe reden wir über die aus Ihrer Garderobe gewählten Kleidungsstücke und die ausgesuchten Sweets. Anschließend entscheiden Sie, an welcher Stelle Sie die Sweets aufnähen wollen:

*Jacke, Mantel, Hose, Kleid, Rock, Pullover, T-Shirt, Hemd, Unterhemd, Unterhose, Socke, Mütze, Schal…

*Vorne, hinten, außen, innen, oben, unten, sichtbar, unsichtbar…


Das Sahnehäubchen ist ein SweetShop–Label, das das originale Label überschreiben oder auch in friedlicher Koexistenz am Kleidungsstück aufgebracht werden kann.

So entsteht aus ganz unterschiedlichen Kleidungsstücken eine uns verbindende SweetShop-Kollektion. Vielleicht ein Ausgangspunkt genauer hinzusehen, Zusammenhänge mehr wahrzunehmen und bewusster Kleidung zu tragen und auch zu kaufen.

die sÜssigkeiten

1. flecken

Wir alle kennen Flecken auf unserer Kleidung. Hier ist eine Fleckengeschichte aus der Kindheit meiner jüngsten Schwester:

Auf dem pinken Ballettkostüm meiner damals 8-jährigen Schwester findet sich dummerweise ein recht großer blauer Filzstiftflecken. Um das Malheur wieder gutzumachen, platziert meine Schwester in regelmäßigen Abständen Filzstiftpunkte über das ganze Kostüm. Leider hat es nicht den erwünschten Effekt und ruft eher Befremden hervor.

Im Nachhinein also ein mutiges Hoch auf die Flecken im Leben und auf die Erfindungsgabe meiner Schwester! Meine Flecken sind auch gemalt, wie schön!

Material: bemalter Baumwolljersey, Seconhand T-Shirts, weiß, hellgrün, pink und grau, Durchschnittsgröße 3-7 cm.

2. vernetzung

Diese schöne Vintage Spitze habe ich in Paris an einem Straßenstand erstanden.

Eine 5-tägige Reise nach Paris: Das erste Mal bin ich mehr als zwei Nächte von meinem damals 2-jährigen Sohn getrennt. Am Abend im Hotel liege ich schlaflos im Bett und mich überkommt ein Gefühl von Panik. Das Wissen, das zwischen mir und meinem Sohn das Meer und über 1000 km liegen, ist nur schwer zu ertragen. Ich hatte eine wunderbare Zeit in Paris, aber es war auch pure Freude meinen Sohn wieder in die Arme zu schließen.

Feine, filigrane Spitze, so wie unsere Vernetzungen mit den Menschen, die wir lieben.

Material: Vintage Spitze, Synthetik, 4.5cmx4.5cm groß

3. verwandlung

Während meines Modestudiums habe ich mitunter mit antikem Bettleinen gearbeitet. Im Bett offenbaren wir uns Menschen in all unseren wahren Facetten. Dieses Leinen hier stammt aus einem kleinen Antikladen in Hamburg. Beim ersten Ladenbesuch schien der Ladenbesitzer desinteressiert und abwesend zu sein, eine ungute Atmosphäre lag in der Luft. Ich kaufte trotzdem ein Stück Leinen. Der zweite Besuch, vielleicht 1 Jahr später, kostete Überwindung aber die große Auswahl ließ mich wieder in den Laden treten. Derselbe Mensch mit einer komplett anderen Ausstrahlung. Nicht wirklich freundlicher, aber trotzdem wie verwandelt: dasselbe Gesicht, aber jemand anders Zuhause im Kopf. Wieder kaufte ich und verließ verwirrt den Laden.

Material: antikes Bettleinen, 7x7cm. Hintergrundbild: eine Arbeit von Louis Bourgeois

4. kuschelpunkte

Dieser Plüschstoff stammt aus dem Nachlass der Großmutter meines Mannes. Winnie war eine beeindruckende Frau, mit einem feinen und klugen Humor. Sie war Ende 70, als ich sie kennenlernte. Fast täglich bekam sie spontanen Besuch von Freundinnen, die mit ihr Tee tranken. Zeit ihres Lebens war sie eine wahre Tierliebhaberin, meistens hatte sie eine Katze auf ihrem Schoss thronen, wenn sie im Wohnzimmer saß. Ich habe nun das Glück in dem Haus zu leben, das sie in den 50er Jahren als Witwe erstand. Ihr guter Geist ist noch immer im Haus zu spüren.

Material: Vintage Plüschstoff, 70er/80er, Synthetik und Wolle, 4.5cm groß

Das Foto unten zeigt Winifred Greenaway, ihren Mann Bill und Tochter Margaret.

5. wimpern-klimpern

Eine Erinnerung aus meiner Ausbildungszeit zur Schneiderin: Während eines Praktikums in einer Kostümschneiderei soll ich für eine abwesende Kundin ein Kleid anprobieren. Die junge und immer gut gekleidete Atelierleiterin ist sichtlich unbeeindruckt von meiner Unterwäsche, mit Löchern geschmückt und notdürftig zusammengehalten mit 2 Sicherheitsnadeln. Damals war mir das peinlich, heute muss ich darüber lachen: Unterwäschen-Styling à la Punk.

Material: Sicherheitsnadeln, gerippter Baumwolljersey, weiss, blau und schwarz, 5×6 cm.

6. leerstellen/blinde flecken

Die Stoffreste hier fielen beim Ausschneiden der oben genannten FLECKEN an. Solche Reste finden normalerweise keine Beachtung und werden meistens weggeworfen. Genauer betrachtet haben sie ihren ganz eigenen Reiz, und ihre eigene Bedeutung. Sie sind wie blinde Flecken. Das Nicht-Gewollte ist immer auch ein Teil des Ganzen.

Material: Seconhand T-Shirts, Baumwolljersey in weiß, hellgrün und pink, 7-11cm groß

Auf Foto 1 & 2 sieht man im Hintergrund Arbeiten von Henri Matisse, Foto 3 zeigt ein Bild von Ferdinand Hodler.

7. hÄkeldecke, aufgelÖst

Diese Häkelrosetten sind aus einer großen Häkeldecke herausgeschnitten. Die Tischdecke habe ich in Dublin in einem Secondhand Laden gekauft. Die Decke hat Flecken und Löcher, aber ich war beeindruckt von der offensichtlich langwierigen Handarbeit. Da hat sich jemand die Zeit genommen, eine so große Decke zu häkeln. Gerne würde ich wissen, was diesem Menschen so durch den Kopf ging während der Handarbeit. Ich liebe die Vorstellung, dass jede einzelne Rosette für einen unsichtbaren Gedankenfluss steht.

Material: Baumwollgarn, handgehäkelt, 6.5cm groß

8. trippel-schritte

Handstiche auf Filz, wie kleine Insektenschritte: mal zielgerichtet und geordnet, mal planlos und wie zufällig. Auch wir hinterlassen täglich solche Spuren, sichtbare und unsichtbare.

Filz ist ein geheimnisvolles Material. Dicht ineinander gehakte Haare, die eine neue Einheit bilden.


Material: Wollfilz in unterschiedlichen Tönen und Knopflochgarn, 2-7 cm groß.

9. reise

Ich lebe direkt an der irischen See. Die Gezeiten und Stimmungen des Meeres bestimmen das Leben. Die Schönheit und unbändige Kraft des Meeres lässt uns staunen. Ab und an spült das Meer altes Ölzeug und Planen an den Strand. Durch die Reise im Wasser wird das Material oft stark verändert: Es zeigt Risse und Verfärbungen und hat einen ganz spezifischen, leicht herben Geruch. Das Meer hat sich sozusagen in das zähe und sperrige Material eingeschrieben, ohne es ganz zu zerstören.


Material: durch Meereswasser verwandeltes Ölzeug & Planen in gelb, blau, grün und rot, 6-10cm groß

10. fÜr immer blumen pflÜcken

Wie gepflückt: aus Vintage Bettwäsche ausgeschnittene Blumen. Sie welken nicht, aber auch diese Blumen sind nicht für die Ewigkeit gedacht.

Das Festhalten-Wollen eines perfekten Moments, wohlwissend, dass das nicht geht. Alles ist fortlaufend in Bewegung, und verändert sich ständig. Go with the flow!

Material: Vintage Bettwäsche 70er, 80er, 3-9cm groß

Foto: Malick Sidibé, Nuit de Noël, 1963